
Von Föhr nach New York
Viele Föhrer wanderten zwischen 1850 und 1960 in die USA aus. Ihre Beweggründe waren unterschiedlich, ihr Ziel das gleiche: Sie wollten ihr Glück finden.

Wurde in unserer Familie über das Thema Föhrer Auswanderer gesprochen, erzählte mein Vater häufig von seiner Tante Thyra, die einen Delicatessen Store in New York besaß. Das, was sich für uns Kinder so großartig anhörte, war jedoch für Föhrer Verhältnisse nichts Besonderes.
Auf Föhr gab es zwischen Mitte des 19. Jahrhunderts und den 1960er-Jahren drei große Auswanderungswellen. Die Gründe waren meist sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Art. Die Tatsache, dass Föhr nach dem Deutsch-Dänischen Krieg im Jahr 1864 an Preußen fiel, die damit verbundenen neuen Gesetze und Pflichten und die karge Landwirtschaft, mit der nicht die ganze Familie ernährt werden konnte, waren nur einige der Gründe.
Zunächst zog es viele der Auswanderer nach Kalifornien, die Nachrichten von Goldfunden im Jahr 1848 hatten sich auch auf Föhr verbreitet. Und so machten sich viele auf den Weg in die Neue Welt. Aber auch New York und der Mittlere Westen boten Chancen für die Föhrer. Dieses Beispiel zeigt die Tragweite, zu der die Auswanderungswelle führte: Zwischen 1860 und 1889 wurden in Wrixum 113 Jungs konfirmiert, 70 von ihnen wanderten aus, 30 junge Mädchen folgten ihnen. Innerhalb von 50 Jahren verließen zehn Prozent der damaligen Föhrer Bevölkerung die Insel.
Die zweite und dritte Auswanderungswelle folgten in den 1920er- und 1950er-Jahren. Mittlerweile war der Weg von Hamburg oder Bremen nach New York nicht mehr so beschwerlich wie noch einige Jahrzehnte zuvor. Es gab zwei Reedereien, die von den Föhrer Auswanderern kontaktiert wurden, die in Bremen ansässige Norddeutscher Lloyd und die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft. Meist buchte man die Reederei auf die Empfehlung von Verwandten oder Bekannten hin, die bereits ausgewandert waren. Sie waren es häufig, die das Geld für die Fahrkarten auslegten.
Am 10. Mai 1929 stieg auch meine Großtante Thyra gemeinsam mit ihrem 18 Monate alten Sohn Gerhard im Hamburger Hafen auf das Dampfschiff „New York“. Ihr Mann Gustav war bereits einige Monate zuvor nach New York gereist, um für die kleine Familie alles vorzubereiten. Viele der Auswanderer hatten bei ihrem Start in den USA Hilfe von Freunden und Bekannten, es wurden Jobs vermittelt und bei der Suche nach einer Wohnung geholfen. In fast jeder Föhrer Familie gab es mindestens ein Familienmitglied, das in die USA ausgewandert war. Einige der Föhrer und auch Amrumer Auswanderer eröffneten in Stadtteilen wie der Bronx oder Brooklyn einen Delicatessen Store, in denen es neben fertigen Salaten und Sandwiches auch Dinge für den täglichen Bedarf gab. Häufig halfen die Neuankömmlinge in einem der Delis aus, bis sie genug Geld gespart hatten, um selbst ein Geschäft zu eröffnen. Eine wichtige Rollte spielte auch der „Föhrer und Amrumer Kranken-Unterstützungsverein von New York und Umgebung“. Der von Föhrern und Amrumern gegründete Verein war die Anlaufstelle für die Neuankömmlinge und ebenso Bindeglied zwischen der neuen und alten Heimat. Hauptanliegen des Vereins war es jedoch, Familien in Notlagen zu helfen, besonders bei Todesfällen wurden die Hinterbliebenen unterstützt. Aber natürlich traf man sich hier auch: Es wurden neue Kontakte geknüpft und Feste gefeiert.
Auch wenn viele ihre neue Heimat in New York und Umgebung gefunden hatten, blieb doch die Verbundenheit zur Heimatinsel. New York bot eine gute Möglichkeit, Geld zu verdienen, mit dem man sich auf Föhr ein besseres Leben aufbauen konnte. Blieben einige vielleicht nur zehn Jahre in den USA, zog es meine Großtante und ihren Mann erst nach mehr als 40 Jahren zurück auf die Insel. 22 Prozent der Föhrer Auswanderer kehrten im 20. Jahrhundert nach Föhr zurück.
Für einige war klar, dass sie nicht länger bleiben wollten, andere trieb das Heimweh zurück auf die Insel. Vielleicht war auch der Kontrast zwischen der ruhigen Nordseeinsel und dem trubeligen New York auf die Dauer einfach zu groß.
Besuchen Sie das Dr.-Carl-Häberlin-Friesen-Museum in Wyk und erfahren Sie mehr über Föhr und seine Auswanderer.
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